people gathering near building during daytime

Sichtbarkeit ist Widerstand. Gerade jetzt.

Ich will nicht so tun, als sei alles wie immer. Auch in diesem Jahr werde ich zum CSD gehen – doch nicht mit der Unbeschwertheit vergangener Jahre. Es begleitet mich ein mulmiges Gefühl. In den vergangenen Monaten häuften sich Berichte über queerfeindliche Übergriffe. Menschen aus meinem Umfeld wurden verfolgt, vermeiden es, öffentlich Zuneigung zu zeigen, und sprechen nur noch gedämpft in Gesprächen. Besonders bleibt mir ein Satz im Gedächtnis, der meinem Freund auf der Straße entgegengeschrien wurde:

„Euch hätte man früher vergast.“ Nicht in Moskau. Nicht in Warschau. In Berlin.

Diese Worte stehen exemplarisch für eine gefährliche Entwicklung: Die Hemmschwellen sinken, die Gewalt nimmt zu – und das Schweigen wächst. Lange habe ich geglaubt – oder gehofft –, queerfeindliche Diskriminierung sei auf dem Rückzug. Doch die Realität straft mich Lügen. Im Jahr 2023 wurden in Deutschland mehr als 1.500 queerfeindliche Straftaten erfasst. Die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen.

Gleichzeitig ziehen sich viele Unternehmen zurück. Aus Angst vor Shitstorms, aus Unsicherheit oder im Irrglauben, ihre Aufgabe sei bereits erfüllt. Doch diese Verunsicherung endet nicht am Werkstor. Auch im Arbeitsalltag spüren queere Menschen die gesellschaftliche Kälte. Sie fragen sich: „Kann ich hier wirklich ich selbst sein?“ Diese Frage ist Ausdruck einer Unsicherheit, die tiefer reicht als die einzelne Erfahrung – sie zeigt, wie angespannt das Klima ist.

Ich erwähne das nicht, um Angst zu verbreiten. Ich erwähne es, weil es Realität ist. Pride war nie bloß ein Fest der Farben. Pride war immer auch Protest – unbequem, politisch, notwendig. Und gerade deshalb werde ich auch in diesem Jahr sichtbar sein. Auf der Straße.

Denn dieser Pride mag nicht fröhlich sein – aber er ist wichtiger denn je.


Ich bleibe sichtbar – für die, die es nicht können. Für die, die sich fürchten. Für die, die allein sind. Und ich hoffe, dass wir einander in unserer Sichtbarkeit Mut machen. Dass wir uns nicht an diese Kälte gewöhnen. Dass wir unsere Stimmen nicht senken. Dass Unternehmen ihr Engagement nicht auf einen Monat im Jahr beschränken. Und dass Allies nicht schweigen, wenn es unbequem wird.

Möge uns stets bewusst bleiben, warum wir diesen Weg gemeinsam gehen.
Ich hätte gern einen anderen Text geschrieben. Einen leichteren, hoffnungsvolleren. Aber dieser Pride ist nicht leicht – und genau deshalb so unverzichtbar. Sichtbarkeit ist Widerstand. Gerade jetzt.

Euer

Fistzilla

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